Keine Gefährdungshaftung bei Ski-/Snowboardunfällen
Die Kanzlei Behm Pudack Becker Rechtsanwälte hat für ein großes Versicherungsunternehmen eine wichtige Entscheidung vor dem OLG Brandenburg erstritten, die weitreichende Bedeutung für zukünftige gerichtsanhängige sogenannten Pistenunfällen haben kann.
Das Brandenburgische Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 19.1.2016, Aktenzeichen 4 U 128/15 entschieden, dass anders als im Straßenverkehr bei Pistenunfällen zwischen Skifahrern und/oder Snowboardfahrern eine Gefährdungshaftung nicht einschlägig ist. Bei Pistenunfällen sind Schadensersatzansprüche und/oder Schmerzensgeldansprüche nur über eine verschuldensabhängige, deliktische Haftung durchsetzbar. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf die Darlegung-und Beweislast bei der Geltendmachung von Ansprüchen.
Leitsatz
Kann bei einem Pistenunfall zwischen Skifahrer und Snowboardfahrer nicht aufgeklärt werden, wie es zu dem Zusammenstoß gekommen ist und auch nicht, ob und welche Verstöße gegen FIS-Regeln vorliegen, greifen Anscheinsgrundsätze nicht. Ansprüche aus Gefährdungshaftung scheiden ebenfalls aus. Ein Verschulden, mithin ein Verstoß gegen die einschlägigen FIS-Regeln muss zur Überzeugung des Gerichts bewiesen werden.
Sachverhalt
In dem zugrunde liegenden Sachverhalt befuhr eine Skifahrerin in Österreich als Teil einer Gruppe eine Skipiste und kollidierte sodann mit einem ebenfalls auf der Piste befindlichen Snowboardfahrer. Die Skifahrerin behauptete, mit mäßiger Geschwindigkeit in weiten Schwüngen und dann plötzlich von hinten umgefahren worden sein. Der Snowboardfahrer trug vor, dass er seitlich auf der Piste und die Skifahrerin versetzt neben ihm fuhr und beide Beteiligten plötzlich seitlich aufeinander zugefahren seien, er weggerutscht sei und es so zu einer seitlichen Kollision kam. Die Skifahrerin zog sich eine schwere Knieverletzung (Kreuzbandruptur) zu und machte gegenüber der Haftpflichtversicherung des Snowboardfahrer Schadenersatz-und Schmerzensgeldansprüche geltend. Die Haftpflichtversicherung lehnte zunächst jegliche Ansprüche außergerichtlich aufgrund der unterschiedlichen Sachverhaltsangaben der Beteiligten ab. Die Skifahrerin war der Auffassung, dass unabhängig hiervon ohnehin die Grundsätze der Gefährdungshaftung Anwendung finden und in jedem Falle eine quotale Haftung im Rahmen einer Gefährdungshaftung gegeben sei.
Im Rahmen der Beweisaufnahme äußerte ein Zeuge, dass er gesehen habe, wie der Snowboardfahrer von hinten kommend in die Skifahrerin hineingefahren sei. Andere Zeugen
äußerten sich jedoch widersprüchlich dahingehend, dass eine Kollision von hinten nicht möglich sei, bzw. der den Klagevortrag stützende Zeuge auf Grund seiner Standposition die Kollision gar nicht gesehen haben kann.
Entscheidungsgründe
Das Landgericht Potsdam hat die Klage unter Verweis auf die Darlegung-und Beweislast abgewiesen. Die Klägerin habe nicht zur Überzeugung des Gerichts bewiesen, dass der Snowboardfahrer den Unfall verschuldet/verursacht habe. Verstöße gegen die insofern geltenden FIS-Regeln habe die Klägerin im Rahmen der Beweisaufnahme nicht nachweisen können. Die Grundsätze der Gefährdungshaftung seien nicht anwendbar.
Gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam legte die Skifahrerin Berufung ein. Mit Beschluss vom 19.1.2016 wies das Brandenburgische Oberlandesgericht die Berufung zurück. Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Denn zur Überzeugung des Gerichts habe die Klägerin einen Verstoß gegen die FIS-Regeln und somit ein Verschulden des Snowboardfahrers nicht nachgewiesen. Zutreffend seien die Grundsätze der Gefährdungshaftung bei sogenannten Pistenunfällen nicht anwendbar mit dem Ergebnis, dass die Klägerin die volle Darlegung-und Beweislast für den behaupteten Zusammenstoß trifft.
Praxistip
Mit der zitierten Entscheidung bestätigt das Brandenburgische Oberlandesgericht zwei bislang vereinzelt vorliegende Entscheidungen des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht vom 28.08.2012, 11 U 10/12 sowie des Thüringer Oberlandesgericht vom 14.09. 2015, 3 U 107/15.
Kommt es folglich im Ski-Urlaub zu Unfällen, muss der Verunfallte und derjenige, der Schmerzensgeld und/oder Schadenersatz geltend machen will, beweisen, dass den Verursacher ein Verstoß gegen die geltenden FIS- Regeln und somit ein Verschulden trifft. An diese Darlegung-und Beweislast sind hohe Anforderungen zu stellen. Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass der Anspruchsteller den sogenannten „Vollbeweis“ führen muss, dergestalt, dass das Gericht „zu so einem Grad der klägerischen Darstellung überzeugt sein muss, welche den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen“ (BGH, NJW/RR 1994,567).
Vor dem Hintergrund, dass die Sichtverhältnisse auf Skipisten wegen der Sonne und Schneereflexionen oft schlecht sind, müssen Zeugenaussagen zu dem genauen Unfallhergang oft mit Vorsicht betrachtet werden. Durch die teilweise hohen Geschwindigkeiten und die sich ständig ändernden Richtungswechsel ist die Wahrnehmung des Unfallhergangs häufig schwierig. Auf Haftungserleichterungen wie im Straßenverkehrsrecht kann sich der Geschädigte - zu Recht - nicht berufen.
(OLG Brandenburg v. 19.01.2016, 4 U 128/15)